Redebeitrag: 1 Jahr Hanau

1 Jahr Hanau: Erinnern heißt verändern!

Redebeitrag auf Kundgebung Vom Erinnern zu Konsequenzen

Ein Jahr vergangen. Wieder stehen wir hier, um zu gedenken. Wir gedenken den Opfern des rassistischen Anschlags vor einem Jahr in Hanau, bei dem neun Menschen auf grausamste Weise ermordet wurden:

Ferhat Unvar
Gökhan Gültekin
Hamza Kurtović
Said Nesar Hashemi
Mercedes Kierpacz
Sedat Gürbüz
Kaloyan Velkov
Vili Viorel Păun
Fatih Saraçoğlu

 

In der Zwischenzeit ist viel passiert: die “Corona-Krise” bestimmt den Alltag in Deutschland und bringt immer wieder die Forderung nach Solidarität auf. Gleichzeitig rückt der rassistische Anschlag in Hanau als gesellschaftliches Thema mehr und mehr in den Hintergrund. Wieder stehen wir hier und sehen in die gleichen Gesichter, wieder rufen die gleichen Gruppen und Initiativen zum Gedenken auf. Da stellt sich die Frage: Warum interessiert es sonst keine?!

Hanau ist kein Einzelfall. Warum müssen wir das überhaupt betonen? Rassismus und Antisemitismus sind nicht nur Randerscheinungen, sondern gehören zu Deutschland, wie Bier und Fußball. Das ist widerlich! Sowohl vor als auch nach Hanau beobachten wir eine dramatische Zahl an rassistischen und antisemitischen Drohungen, Anfeindungen und Anschlägen in Deutschland. Rassistische Polizeigewalt jeden Tag und das staatliche Versagen in Hinblick auf eine lückenlose Aufklärung rechten Terrors in Deutschland sind Teil des Problems. Rassismus und Antisemitismus töten! Solange sich nichts ändert, sterben weiter Menschen.

Die aktuellen Verhältnisse produzieren aber nicht nur Unsicherheit und Not, sondern auch Widerstände. #blacklivesmatter hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, gemeinsam auf die Straße zu gehen, zu kämpfen für eine Gesellschaft ohne Rassismus, Antisemitismus und Sexismus.

Spätestens nach Hanau wird deutlich, dass wir diesen Kampf nur dann gewinnen können, wenn wir den Fokus auf die Betroffenen von Rassismus und Antisemitismus richten. Wir wollen zuhören, nicht erst nach Hanau, sondern immer! Aber zuhören allein reicht nicht. Betroffenen rechter Gewalt zuzuhören muss nämlich auch heißen, sich selbst darum zu kümmern; sich mit strukturellem Rassismus auseinanderzusetzen, ihn zu erkennen und sich selbst und andere weiterzubilden.

Gerade als weiße Person ist es wichtig, sich seinen eigenen gesellschaftlichen Privilegien bewusst zu sein, die eigene Rolle in dieser rassistischen Gesellschaft zu reflektieren und sich gegen Alltagsrassismus klar und entschlossen zu positionieren. Und zwar immer! Wir tragen Verantwortung für eine Verbesserung der Zustände einzustehen! Und dies ist nur möglich, wenn wir uns mit betroffenen Personen solidarisieren, ihnen Raum geben in einer durch und durch rassistischen Gesellschaft.

In Gedenken an die Ermordeten, in unendlicher Trauer und mit rasender Wut halten wir es nicht mehr aus, immer wieder die leeren Worte von Politiker*innen anzuhören. Wir wollen eine wahre Aufarbeitung des rassistischen Terrors in Hanau und ganz Deutschland. Wir wollen grenzenlose Solidarität, und zwar jetzt!

Lasst uns zusammen – als Betroffene, als Antirassist*innen und als Antifaschist*innen – neue Strategien im Kampf gegen rechten Terror und Gewalt, Rassismus und Nationalismus finden!

Kein Vergeben, nie Vergessen!
In unendlicher Solidarität mit den Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt!