Redebeitrag: “Sexismus geht uns alle etwas an”

“Sexismus geht uns alle etwas an”

Redebeitrag am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen*

In unserer Gesellschaft ist es kaum möglich, öffentlich zu sagen: “Ich bin betroffen von sexualisierter Gewalt”, ohne sofort geächtet zu werden und als armes Opfer zu gelten. Das Sprechen über sexualisierte Gewalt wird in die Privatsphäre verbannt, in Gespräche zwischen engen Freund*innen, in Therapie oder Selbsthilfegruppen. Wir möchten dazu beitragen, diese Sprechräume zu schaffen und zu erweitern. Dies bedeutet aber auch traumatische Erfahrungen über sexualisierte Gewalt und Sexismus zu benennen.
Daher eine Triggerwahrnung: In unserem Redebeitrag werden wir von unseren individuellen Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und Sexismus berichten. Wir möchten darauf hinweisen, dass wir eine weiße, in Deutschland sozialisierte Perspektive einnehmen, die sehr subjektiv und privilegiert ist.

 

Blöde Sprüche, Hinterhergepfeife, permanente Bewertungen nach dem Schönheitsideal, Angrabschen, Kuss aufgedrückt, Stalking, Schläge, Tritte, Prügel, Zwangsprostitution, häusliche Gewalt, Spannervideos, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigung, Mord. Jede 3. Frau* ist mindestens einmal in ihrem Leben von sexualisierter Gewalt betroffen. 80 Prozent der Gewalttaten gegen Frauen* in Deutschland bleiben im Dunkeln. Folgen sexualisierter Gewalt können ein Leben lang wirken und sind gravierend.

Sexualisierte Gewalt umfasst alle Formen von sexuellen Handlungen und Taten, die gegen den Willen oder ohne Einwilligung einer Person ausgeübt werden. Die Absicht oder auch der Vorsatz der gewaltausübenden Person, ist nicht ausschlaggebend dafür, ob es sich um sexualisierte Gewalt handelt. Entscheidend ist, dass Handlungen oder Taten gegen den Willen oder ohne Einwilligung der Betroffenen ausgeübt wurden. Ob etwas gegen den Willen der Betroffenen stattgefunden hat, kann nur die Betroffene selbst sagen und das soll unsere Prämisse sein. Gewalt gegen Frauen* und Mädchen wird durch Sexismus ermöglicht. Sexismus spricht Frauen* von Natur aus eine geringere Stellung als Männern zu und zwingt sie zu Hauptaufgaben, wie Haushalt, Kindererziehung und die sexuelle Verfügbarkeit für Männer.

So wird Arbeit, die vorwiegend von Frauen* übernommen wird, immer noch geringgeschätzt oder oft überhaupt nicht erst als Arbeit anerkannt. Frauen* verdienen in Deutschland im Schnitt 22% weniger als Männer. Und das, obwohl Frauen* (erst) seit 1977 in der Bundesrepublik Deutschland arbeiten dürfen, ohne die Zustimmung des Ehemannes. Zu Hause leisten Frauen* zusätzlich unzählige unbezahlte Stunden an Erziehungs-, Haushalts- und Pflegearbeit.
Also wer wäscht Wäsche? Wer putzt und bleibt Zuhause in Zeiten, wo Kitas und Schulen geschlossen sind? Wer kümmert sich mit um Hausaufgaben und pflegebedürftige Angehörige etc.?

Aber wir meinen bei Care-Arbeit nicht nur Hausarbeit, sondern auch das Kümmern im Allgemeinen: Wer fragt, wie’s dir geht, was dich beschäftigt und umtreibt? Wer erkundigt sich danach, was du brauchst – und das nicht nur in Paarbeziehungen, sondern auch in Freund*innenschaften.
Für Partner*innen, Angehörige, Freund*innen und Kolleg*innen leisten Frauen* oft emotionale Unterstützung.

Nein heißt Nein, No means No

Gerade zu Zeiten der Corona-Pandemie scheinen die eigenen vier Wände der sicherste Ort zu sein. Ein ‚Zuhause‘ – solange man überhaupt eins hat – gibt uns Sicherheit, dort sollen wir uns geschützt fühlen. Für viele Frauen* und Kinder gilt dies allerdings nicht. Gerade dort sind sie besonders bedroht und erleben häusliche Gewalt durch ihren Partner oder Angehörige.

Nicht nur Zuhaue, auch bei Freund*innen fühle ich mich wohl, ich vertraue ihnen. Da ist es erst mal schwer vorstellbar, dass die eigenen Freund*innen sexistisch diskriminieren oder gar sexualisierte Gewalt ausüben. Kommt es trotzdem vor, wird oft gezweifelt. „Ist das wirklich passiert?“ Und oft wird verharmlost oder versucht zu entschuldigen: „Das hat die Person bestimmt nicht so gemeint, das wurde falsch verstanden, das kann nicht so schlimm gewesen sein, da wird übertrieben.“

Ich will, dass wir aufhören Betroffenen sexualisierter Gewalt zu misstrauen. Es wäre angemessen, den Betroffenen mit Offenheit und nicht mit Abwertung zu begegnen und ihnen nicht das Gefühl zu vermitteln, dass sie falsch oder überzogen reagieren. Generell gilt, und das ist wichtig immer und immer wieder zu wiederholen: Nein heißt Nein, No means No und kein Ja meint auch Nein!

Du denkst, du weißt, was die anderen Personen wollen oder nicht? Du meinst, du kannst an ihrer Körperspache, der Mimik, ihren Klamotten ablesen, was sie denken? Da liegst du aber falsch! Erst durch ein offenes miteinander sprechen können wir wissen, auf was andere Menschen, unsere Partner*innen, unsere Freund*innen Lust haben und was ihre Erfahrungen und Wünsche sind. Heute vielleicht mal keine Böcke?! Null Problemo!
Aber sprechen allein reicht nicht. Es muss normal sein, sich zurückzunehmen, keinen Druck aufzubauen. Es muss normal sein, dass wir uns eingestehen, wenn wir grenzüberschreitend waren. Es gilt dann unser Handeln zu reflektieren und zu ändern. Und das ist verdammt anstrengend, aber auch verdammt wichtig. Vielleicht ist es gut, sich an Freund*innen und Beratungsstellen und Theapeut*innen zu wenden.
Und nochmal: Nein bleibt Nein und kein Ja heißt immer noch Nein!

Auch Verhütung ist zur Zeit hauptsächlich Frauen*sache.
Wer kümmert sich? Wer erinnert sich, jeden Tag die Pille zu nehmen? Wer muss eine Hormonbombe zu sich nehmen? Wer zahlt die Pille danach und geht zur Apotheke? Wer zahlt die Spirale? Wer muss sich um Abtreibung kümmern?
Warum gibt’s denn immer noch keine Pille für den Mann und warum wird der eh schon mühsame Weg zur Abtreibung von der Politik noch schwerer gemacht oder teilweise blockiert?

Sexismus geht uns alle etwas an

Häusliche Gewalt, Carearbeit, Umgang mit Sexismus, Auseinandersetzungen mit Verhütung, Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt – das alles ist scheiße. Doch wir lassen uns von unseren Erfahrungen und diesem Alltag nicht brechen! Wir wollen, dass wir gemeinsam und solidarisch mit Sexismus und sexualisierter Gewalt umgehen. Dies schließt eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen ein, denn Sexismus und sexualisierte Gewalt sind keine individuellen Einzelfälle, sondern Bestandteil und Ergebnis gesellschaftlicher Strukturen.

Normalität ist es zurzeit, dass Betroffene immer wieder einsam sind und isoliert werden. Als Betroffene ist es meist schwer genug Unterstützung zu finden, gehört zu werden und ernst genommen zu werden.
Unsere Aufgabe ist daher in Communities, im Freund*innenkreise, in der Familie, auf Arbeit, in politischen Gruppen, in der Nachbarschaft und überall: Orte schaffen, die es ermöglichen offen über Erfahrungen zu sprechen, in denen zugehört und Betroffenen geglaubt und vertraut wird.

Es geht uns aber nicht nur darum, ‘Feuerwehr’ zu spielen. Also erst dann zu reagieren, wenn’s schon brennt. Sondern wir wollen Bedingungen schaffen, die Gewalt minimieren, damit diese Gewalt am besten überhaupt nicht erst stattfindet. Dafür müssen wir lernen unsere Annahmen und Bilder zu verändern. Wir leben alle in einer sexistischen Gesellschaft. Das ist kacke, aber wir müssen unsere Fehler erkennen und unser Verhalten verändern, uns entschuldigen, die Schuld nicht immer wegschieben, um das Bild wahren zu wollen, dass in unserem doch so aufgeklärten Freund*innenkreis so was ja nicht stattfinden kann.

Wir fordern einen achtsamen und bewussten Umgang mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt und sexistischer Diskriminierung.
Mach’ dir bewusst, dass Gewalt und sexistische Diskriminierungen stattfinden, auch in deinem Umfeld! Setz’ dich damit auseinander! Halt mal deine Fresse und hör zu!
Informiere dich, wie du dich schützen kannst! Reflektiere dein eigenes Verhalten! Und interveniere bei sexualisierter Gewalt und sexistischer Diskriminierung!

Gegen Macker und Sexisten – Fight the Power, Fight the System!