Demo Rede gegen Querdenken am 10.10.2020 – Benedikt Freitag als Jugendvorstand von vielbunt e.V. Darmstadt

– english version below-

Liebe Mitmenschen,

heute stehen wir zusammen, um ein Zeichen für die Demokratie, ein friedliches Miteinander und die Anerkennung wissenschaftlicher Arbeiten zu setzen.

Seit vielen Jahren gehen Menschen mit Regenbogenfahne auf die Straße, um für bestimmte Werte einzustehen: Toleranz, Freiheit, Anerkennung, Respekt, Akzeptanz, Vielfalt, Rechte queerer Menschen!

Als am 30. Juni 2017 in der Tagesschau verkündet wurde, dass der Bundestag die Ehe für alle beschlossen hat, musste ich 2 Stunden vor Freude weinen.Es hat für mich insbesondere bedeutet, dass ich einmal auf legalem Wege in Deutschland Kinder bekommen könnte.
Nun ziehen Menschen mit Regenbogenfahnen über die Straße, die gegen all das stehen und einen bereits jahrzehntelang veralteten Strukturkonservatismus vertreten.

Ein Strukturkonservatismus, der ein rein heterosexuelles und cis-geschlechtliches Familienbild zeichnet, sich vor moderner Medizin verschließt und Medien angreift.

Wir erinnern uns noch gut an die AfD-nahe „Demo für alle“ mit ihrem sogenannten „Bus der Meinungsfreiheit, welche gegen die Ehe für alle mobilisiert hat und Schriftzüge wie „schützt unsere Kinder“ oder „Kindesmissbrauch bekämpfen“ ziert. Die personellen Überschneidungen von „Querdenken“ zur „Demo für alle“ sind groß und nicht zu leugnen. Dieselben Personen, die queere Menschen als pädophil verunglimpft und gegen die staatliche Anerkennung queerer Lebensweisen gekämpft haben, tragen nun Regenbogenfahnen und behaupten, sie seien queerfreundlich. Entschuldigung, aber wir lassen uns nicht für dumm verkaufen!

Heute gehen auch andere Menschen mit Regenbogenfahnen auf die Straße: sie sind Impfgegner*innen, verbreiten Verschwörungstheorien, haben teilweise sogar Reichs- und Preußenflaggen dabei. Sie sagen, die Regenbogenfahne stehe für die freie Meinungsäußerung. Was sie tun ist aber vor allem eins: eine Respektlosigkeit gegenüber allen queeren Aktivist*innen der Gegenwart und Vergangenheit.

Mit dieser Flagge wurde für Gleichberechtigung gekämpft, aber jetzt sieht man sie neben genau den Menschen, mit denen die queere Community wirklich nichts zu tun haben möchte.

Wie oft wurden wir als vielbunt-Menschen gefragt, ob wir gegen Corona-Maßnahmen demonstrieren würden. Bei dem Gedanken, dass man uns wegen der missbräuchlichen Verwendung der Regenbogenfahne mit diesen Leuten verwechseln kann, wird einem fast schlecht!

Zu sehen, dass sich zehntausende Menschen aus der vermeintlich gesellschaftlichen Mitte ohne Gewissensbisse neben Nazis stellen, versetzt mich als queeren Menschen in Angst!

Wer mit Nazis auf die Straße geht und mit ihnen für die gleiche Sache kämpft, muss damit rechnen, mit diesen in Verbindung gebracht zu werden. Es liegt am einzelnen Menschen, sich von bestimmten Dingen abzugrenzen! Sich nicht abzugrenzen, ist auch eine bewusste Entscheidung!

Seit Jahrzehnten gehen Menschen auf die Straße, um für die Rechte queerer Menschen zu kämpfen – das ist ein sehr anstrengender, mühsamer Prozess mit Ergebnissen in kleinsten Schritten. Ich werde nicht schweigend zusehen, wie diese Menschen die Regenbogenfahne missbrauchen, um die hart erkämpften Rechte queerer Menschen mit Füßen zu treten!

Noch ein paar Worte Richtung Querdenken: Masken trage ich nicht, um mich selbst zu schützen, sondern um andere zu schützen. Wer bewusst das Risiko eingeht, andere Menschen mit einer eventuell tödlich ausgehenden Krankheit anzustecken, ist für mich vor allem eins: menschenfeindlich!

English translation of the Speech against „Querdenken“ at 20.10.2020 – Benedikt Freitag, executive of youth vielbunt e.V. (queer community Darmstadt)

Dear fellow human beings,

Today we stand together to set a sign for democracy, a peaceful coexistence and the recognition of scientific work.

For many years people demonstrate on the street with the rainbow flag to stand up for special values: tolerance, freedom, recognition, respect, acceptance, diversity, equality of queer people in front of the law!

When it was announced on 30th of June 2017 in the “Tagesschau” (German news show at TV) that the Bundestag (German parliament) had decided that marriage was for everyone, I had to cry for two hours of joy.
For me it meant in particular that I could one day get children in Germany in a legal way. Now people with rainbow flags are crossing the street, standing against all this and representing a structural conservatism that has been outdated for decades.

A structural conservatism that draws a purely heterosexual and cis-gender family picture, closes itself off from modern medicine and attacks the media.

We still can remember well in the closed to AfD demonstration „Demo für alle“ with their so-called „Bus der Meinungsfreiheit“, which has mobilized against marriage for all and has put forward slogans like „schützt unsere Kinder“ (trld.: save our children) or „Kindesmissbrauch bekämpfen“ (trld.: combating child abuse) decorates. The personnel overlap from “Querdenken” to “Demo für alle” is large and undeniable. The same people who denigrated queer people as pedophiles and fought against the state’s recognition of queer ways of life now carry rainbow flags and claim that they are queer-friendly. Excuse me, but we will not be taken for fools!

Today, other people also take to the streets with rainbow flags: they are anti-vaccination campaigners*, spread conspiracy theories, and some of them even carry Reich and Prussian flags.

They say that the rainbow flag stands for freedom of expression. But what they do is one thing above all: a disrespect for all queer activists of the present and the past. They fought for equality with this flag, but now you see them next to the very people the queer community really wants nothing to do with.

How often were we, as vielbunt-people, asked whether we would demonstrate against corona-measures. The thought that we could be mistaken for these people because of the misuse of the rainbow flag almost makes you sick!

To see tens of thousands of people from the supposedly middle of society standing next to Nazis without any remorse, puts me as a queer person in fear!

Anyone who takes to the streets with Nazis and fights with them for the same cause must expect to be associated with them. It is up to the individual person to set himself apart from certain things! Not to set oneself apart is also a conscious decision!

For decades, people have been taking to the streets to fight for the rights of queer people – it is a very strenuous, laborious process with results in the smallest steps. I will not stand by in silence and watch these people abuse the rainbow flag to trample on the hard-won rights of queer people!

A few words directly to “Querdenken”: I do not wear masks to protect myself, but to protect others. Anyone who consciously takes the risk of infecting other people with a potentially fatal disease is for me one thing above all else: misanthropic!