Arbeitskreis Ideologiekritik – „Querdenken“

Die Querdenker brachten es auch im sonst nicht unbedingt umtriebigen Darmstadt fertig, ein wenig Staub aufzuwirbeln und so etwas wie eine breite politische Bewegung zu simulieren. Hier vereint man Trommelklopfen und Batik-Shirts mit Verschwörungstheorien über die Neue Weltordnung, freut sich über Lagerfeuer-Lieder gegen die Antifa ebenso wie über seltsame Tanz-Choreographien, macht schließlich ebenso mit Hitlergrüßen von sich
Reden, wie mit Versuchen, sich die Regenbogen-Fahne anzueignen. Kurz: es wimmelt nurso von Widersprüchen.

Wir wollen mit zwei Punkten deutlich machen, wie das alles zusammen passt:

Was wir beobachten können ist erstens eine Krisendynamik, in der auch sonst unauffällige Teile des Mittelstands plötzlich Farbe bekennen. Die deutsche Wirtschaft kriselte schon seit letztem Jahr deutlich und die Prognosen sind inzwischen alles andere als rosig – Corona- Pandemie ist hier nur der Name, den einige der allgemeinen Krisenerwartung gegeben haben, die sie nicht so ganz begreifen, aber umso mehr fürchten.
Zweitens ist das ungewöhnliche Bündnis längst nicht mehr so unerklärlich, wenn man sich bewusst macht, dass rechtes Denken und das esoterische Milieu weniger weit auseinander liegen, als es die Klischees nahelegen, nach denen sonst die politischen Lager sortiert werden.
Auf völkisches Denken, antisemitische Welterklärungsmuster und autoritäres Rebellentum haben deutsche Nazis kein Monopol. Je nach Milieu äußern sich diese Dinge unterschiedlich, bedient man sich unterschiedlicher Codes und Versatzstücke. Aber diese Trennung ist im Zweifelsfall auch schnell überwunden. Und Verschwörungstheorien wie auch esoterisches Denken sind fest in Teilen des Mittelstands verankert, auch wenn das sonst meist latent bleiben konnte. Diese Verschwörungstheorien konnten sich, unter dem Eindruck von Quarantäne und unklaren Aussichten, weiter verbreiten und verfestigen.

Mittelstand und Krise

Die Wut des Mittelstandes, aus dem sich auch die Querdenker und Corona-Protestler im eher wohlhabenden Darmstadt rekrutieren, ebenso wie etwa in Stuttgart oder München, nährt sich aus der Angst vor Abstieg und Krise. Wie ein Damoklesschwert hängt ein möglicher Wirtschafts-Crash über dem eigenen Vorgarten, und seit der letzten Finanzkrise hat man das irgendwie kommen sehen. Die kleineren Unternehmer, Selbstständige, eigentlich Gut-Verdiener waren – insbesondere am Anfang – mit auf der Straße, waren
empört und meinten: „so geht es doch nicht weiter“. Der Mittelstand hat sich vor einigen Monaten kurz in Bewegung gesetzt, und auch wenn das wieder zurückgegangen ist, wenn gerade vor allem noch ein paar verwirrte Reste weiter machen, so wurde jetzt schon
deutlich, was in Krisenzeiten zu erwarten bleibt.

Furcht vor Krise und Abstieg wäre soweit zu begreifen, doch es handelt sich gleichzeitig wohlgemerkt oft um Leute, denen die permanente Krise an der europäischen Peripherie kaum ein Achselzucken wert sein dürfte. Leute, die frei heraus bekennen, dass sie bisher „unpolitisch“ waren, sich also nie engagiert haben, und das noch für eine Art Auszeichnung halten. Die meinen, jetzt – wo sie es selbst spüren – sei es ja durchaus ernst für alle, also berechtigt zu protestieren, während sonst wohl alles in Ordnung gewesen wäre. .
Denn dieser Mittelstand ist alle möglichen Formen des therapeutischen SelbstbezugesArbeitskreis Ideologiekritik – „Querdenken“ gewohnt, das ist eine wichtige Form der Sprache, mit der er gesellschaftlich wirken will und kann. Sein Gewissen, seine Gefühle gelten ihm als unmittelbar, als eins mit der Gesellschaft. Und so graust es diesem Mittelstand gleichzeitig um den deutschen
Maschinenbau und um den deutschen Vorgarten, während er versucht, all dem mit Selbsthilfe-Slogans beizukommen, mit guter Laune, schwingendem Tanzbein und viel Liebe.

Aber es ist wie mit dem Regentanz in der Dürre, all die Beschwörungen helfen nichts, und man sucht nun nach Schuldigen, man schreit nach Opfern.
Der Staat wird gleichzeitig beschworen und verflucht, und bei vielen der Anwesenden scheint es nicht ganz undenkbar, dass sie in der Tat gerade erstmalig in einer für sie negativen Weise in Berührung mit der Staatsgewalt kommen, zum ersten Mal spüren, dass
der Staat des Kapitals nicht nur Garant ihres Wirtschaftens für sie ist, sondern im Zweifelsfall auch gegen sie. Der drohenden Faschismus herbei ist ihnen schon, wenn der Zugang zum Friseur einmal verwahrt bleibt, während sonst noch brutalste Law-and-Order
Exzesse gegen Minderheiten von einem politisch ähnlichem Klientel als Notwendigkeit abgetan werden. Man fühlt sich durch Masken gegängelt, projiziert den eigenen Unmut auf die Kinder, die diesen Querfröntlern als besonders gefährdet und gebeutelt gelten, und
benimmt sich dabei doch selbst wie trotzige Kinder. Neben Strafzetteln und Steuererklärung ist die Schulpflicht eines der seltenen Konfliktfeldern mit dem Staat als Staatsgewalt, der
hier zunehmend als Bedrohung empfunden wird, obwohl dieser Mittelstand sich doch sonst von ihm so gut vertreten fühlt. Wo waren die ganzen besorgten Bürger, die sich jetzt um ihre Freiheit sorgen, als Anfang des Jahres das neue Polizei-Gesetz eingeführt wurde?
Nicht jeder, der irgendwie auf den Staat schimpft, ist also zwangsweise progressiv, was wiederum auf keinen Fall bedeutet, dass Kritik an der Staatlichkeit – im Allgemeinen wie Besonderen – ihren Platz verloren hätte.

Gerade bricht sich also einiges an gesellschaftlicher Paranoia Bahn, was sonst im Alltag noch als seichtes “die da oben” dahinsumpfen durfte. Kein zufälliges Ziel ist dabei Bill Gates: eigentlich niemand kannte den US-Amerikaner zunächst als Impf-Paten, er steht
vielmehr wie wenige andere für die Tech-Industrie, das Silicon Valley, also Kapitalfraktionen die – im Gegensatz zum deutschen Maschinenbau – von der Corona-Krise eher profitieren. Während wenige gerade ein solides deutsches Auto brauchen, boomt es bei
Microsoft, Facebook und Apple. Es ist wohl kein Wunder, dass sich ausgerechnet an einer solchen personifizierten Konkurrenz zum deutschen Kapital derartige Verschwörungstheorien entzünden.
Und wie es sich für so eine Mitte aus späten Baby-Boomern und Generation X gehört, hat man sich denkbar obskure Gestalten an die Spitze gesetzt; so etwa einen ehemaligen Rundfunkmoderator der sich im Radio selbst „Keks“ nannte, einen cholerischen Veganer-
Koch und einen Pop-Sänger mit ebenso bedenklichen Ansichten wie Kopfbedeckungen.

             Verschwörungstheorien und Faschismus der Mitte

Esoterik und rechtes Denken haben eine lange Tradition in einigen der Kreise, die nun aus der Deckung gebrochen sind. Hier finden sich Leute zusammen, die schon lange ihre seltsamen Mantras über das Ich und das Wollen herunter beten mit solchen, für die das alles
ganz neu und aufregend ist.
Vereint sind sie im Glauben, dass Corona nur ein böser Plan sei, mit dem man die Leute krank machen wolle, durch schlechte Worte und Angst Unheil stiften würde. Was sich dahinter versteckt ist die Vorstellung, dass es keine Krankheit (also Krise) gibt ohne bösen Willen und dunkle Machenschaften, dass also die Wirtschaft gerettet werden muss durch Einsatz und guten Willen. Wenn dabei dann mehr Leute sterben müssten, dann sei es eben so, der Lauf der Natur – „it is what it is“ meinte Trump lapidar zu 200.000 Toten.

Professor Ruppert darf es stellvertretend für sie aussprechen: Die Pandemie sei eine „gezielt herbeigeführte Situation“, die selbst die Gesunden per Definition zu Kranken mache und der Rest sei wissenschaftliche umstritten. Prof. Ruppert ist dabei selbst Psychologe und Traumatherapeut, und arbeitet sich als solcher vor allem am vermeintlichen Angst-Machen ab. Die Pandemie als gesellschaftliches Ereignis stellt sich ihm so als vor allem psychischer Mechanismus dar, und das ist bezeichnend für auch die anderen Verhaltensweisen, die sich bei den Querdenkern beobachten lassen. Corona, das ist ein ungebetener Gast, ein Angst-
Macher und Miesepeter, und im kindlichen Trotz schimpft man auf die Eltern, die so jemanden ins Haus gelassen haben. Begreifen will man nur, was man unmittelbar an sich selbst spürt, nämlich Unlust und Furcht. Materielle Konsequenzen, Tod und ernsthafte
Folgen, das sind hier nur die sekundären Folgen, die sich ergeben, weil man an Corona glaube – mit genügend gutem Wille alles kein Problem, so wie es das eigentlich sehr neoliberale Dogma verspricht, das sich auch New-Age Hippies schon eingeimpft haben.
An anderer Stelle sagt die „Hebamme Kirsten“: „Es ist gut in diesen Zeiten, eine Kraft und eine Macht zu kennen, die größer ist als wir selbst“. Man ist sich also nicht zu schade, um Hilfe bitten, beschwört eine größere Macht und ist irgendwie auch gewillt, ihr die Kranken
und Alten als Opfer zu bringen (es geht ja um die Kinder).
(Walter Benjamin schrieb passend über eine solche Anbetung des Kapitals als Gott: „Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, d.h. der Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die so genannten Religionen Antwort gaben.“)

So will es eben der heilige Geist namens Kapital, der ihnen erschienen ist in ihrem Ich; innehalten und die eigene Erschütterung spüren, Wohlfühl- und Mitfühl-Rhetorik, sie versuchen sich hier an einer großen, selbst-inszenierten Therapie. Und so geht es vom
Verweis auf die Dunkelheit, das Licht, den Menschen als spirituelles Wesen, weiter zu dunklen Geldgebern und den tödlichen Plänen der Neuen Weltordnung. Alles auch schon nachzulesen bei Gestalten wie Jan Van Helsing, dessen Bestseller hier nun (mehr oder
weniger bewusst) wiedergekäut werden. Kein Wunder auch, dass Darmstadt einEinkaufsparadies für Esoterik-Fans ist.

Fazit

Was bleibt angesichts solche Zusammenkünfte, wie ernst kann man die Kritik der Querdenker nehmen?
Wir wissen, dass die dort vorgebrachten Karikaturen der Herrschenden weder so kritisch sind, wie sie sich geben, noch treffen sie den Kern dessen, was falsch läuft. Hier werden eifrig Strohmänner angegangen, um nur nicht über die reale Grausamkeit dessen reden zu müssen, was schon immer das Tagesgeschäft von Kapital und Staatsgewalt ist. Außerdem sind die zentralen Forderungen der aktuellen „Hygiene-Demos“ noch mehr Wasser auf den Mühlen derer, die Stimmung machen gegen den Vorrang der Gesundheit, und damit für ein Fortsetzen der Ausbeutung auf Kosten von Armen und Schwachen. Aber dieses Interesse daran, dass der Laden wie bisher weiter läuft, ist in erster Linie eines
derer, denen die Arbeiter und Konsumenten sonst wegbrechen. Was ihr hier als Freiheit einfordert ist letztlich nur die Freiheit, am Ende noch die eigene Gesundheit zu verlieren, damit die Wirtschaft weiter brummt, damit das Kapital noch mit Gewinn aus der Krise geht.
Und diese Krise hat in Europa schon über weit über hunderttausend Menschen das Leben gekostet.

Es ist klar, dass man als Linke auch Lernprozesse zugestehen muss. Wir glauben an die Notwendigkeit von Kritik und Agitation, von Bildung und Lernen. Aber trotz gewisser Ungleichheit, die solche Elemente der „geistigen Bewaffnung“ wohl auch immer aufweisen
mögen: niemand zwingt diese Leute, sich heute noch gewissermaßen mit intellektuellen Faustkeilen auf die kapitalistische Totalität und ihren Gewaltapparat zu stürzen – was sie ja im übrigen nicht vorhaben, sondern nur stetig simulieren. Was sie wollen ist einfach nur,dass es so gewalttätig weitergeht wie bisher, dass millionenfacher Hunger, Verelendung und Naturzerstörung weitergehen, nur halt außerhalb ihrer Wahrnehmung. Dafür wollen sie Einfluss nehmen auf bestimmte Kandidaten und Teile der Politik.

Kein Wunder, dass hier eine Krise erlebt wird, denn diese ist in den letzten Jahren immer offener hervorgetreten, schon lange vor Corona; hier ist es der falsche Weg, die Verschwörungstheorie als Wahn abzutun, der von außen in eine sonst harmonische Welt
eindringe; Verschwörungstheorien sind vielmehr der kindische, unzureichende Versuch, die eigenen Ahnungen zu verbalisieren; es gilt nicht abzustreiten, dass etwas schief läuft, sondern herauszuarbeiten, wie grundsätzlich doch alles schief läuft, und wie radikal die Änderungen sein müssen.

AK Ideologiekritik Darmstadt